„Zusammenfügen, was fachlich zusammengehört“

Im Interview erklärt Prof. Dr. Robin Kähler, Vorstandsvorsitzender der IAKS Deutschland und Experte für Sportentwicklungsplanung, inwieweit Kommunen infolge aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen bei der Sportstättenentwicklungsplanung umdenken müssen.

Robin Kähler
Robin Kähler Bild: privat
Sportplatzwelt: Auch heutzutage gilt bei der Sporthallenplanung oft noch der Ansatz „form follows function“. Warum sollten Kommunen bei der Planung funktioneller und nachhaltiger Sportstätten aber nicht „nach Schema F“ bauen und die tatsächlichen Nutzerbedürfnisse nicht aus den Augen verlieren?
Kähler: Das Konzept „form follows function“ ist von gestern, veraltet und gilt für zukunftsfähige Sportstätten nicht mehr. „Form follows peoples’ needs“ heißt die neue Maxime für den Bau von Sporthallen. Sportstätten der Zukunft müssen nach den Sport- und Bewegungsbedürfnissen der Menschen gebaut werden. Doch noch immer bauen Kommunen z. B. normgerechte Dreifach-Sporthallen, die nicht mehr gebraucht werden. Wir haben genug davon, sie werden aber zum großen Teil falsch belegt und genutzt. Das wird nicht mehr passieren, wenn nur das gebaut wird, was wirklich auch klug gestaltet und wirkungsvoll genutzt wird.

  Das sklavische Festhalten an Normen verhindert ein innovatives Bauen.

Sportplatzwelt: Inwieweit stößt hier die klassische Sportentwicklungsplanung an ihre Grenzen? Warum ist es im Rahmen einer modernen Sportentwicklungsplanung so wichtig, starre Zuständigkeitsverhältnisse aufzubrechen?
Kähler: In vielen kommunalen Sportverwaltungen gelten noch die drei klassischen Zuständigkeiten: Sportstättenverwaltung, Sportförderung für Vereine und Sportveranstaltungen. Das war zwar für die Sicherung eines vereins- und wettkampforientierten Sports richtig. Mittlerweile suchen sportlich aktive Menschen auch den öffentlichen Raum, Parks, Verkehrswege, Parkplätze, Schulhöfe, Brachen und Naturräume auf. Hierfür sind nicht die Sportämter, sondern andere Verwaltungsstellen fachlich zuständig.

Wir befinden uns derzeit in einem Dilemma: Die sport- und bewegungsfachliche Kompetenz liegt zwar im Sportamt, die Zuständigkeit für Planung, Bau, Pflege und ggf. Finanzierung dieser Räume liegt aber bei anderen Ämtern. Ohne eine förmliche, vertrauensvolle und fachlich gute Zusammenarbeit aller zuständigen Ämter untereinander wird es keine gelingende bedürfnisgerechte, nachhaltige Sportraumplanung geben. Die Hauptaufgabe einer heutigen Sportentwicklungsplanung besteht darin, zwischen den Ämtern zu vermitteln, Strukturen aufzubauen und zusammenzufügen, was fachlich zusammengehört.

Sportplatzwelt: LCA und Ökobilanz sind elementare Parameter bei der Nachhaltigkeitsbewertung von Sporthallen. Ist die Betrachtung einzelner Gebäude überhaupt noch zeitgemäß?
Kähler: Das Thema Nachhaltigkeit muss aus drei Perspektiven gesehen und bewertet werden: ökologisch, sozial und ökonomisch. Das Klimaschutzgesetz verlangt, dass auch alle Sportbauten 2045 CO2-neutral sind. Ich bin optimistisch, dass die Hersteller, Baufachunternehmen, Energieversorger und Kommunen das Ziel, ökologisch nachhaltige Räume zu bauen, erreichen werden. Denn es werden nachhaltige Sport- und Bewegungsräume auch in Zukunft für den Schul-, Vereins- und informellen Sport der Menschen dringend gebraucht. Sie bilden unverzichtbare räumliche Voraussetzungen für ein bewegtes, sozial nachhaltiges Leben der Menschen. Sie gehören aus städtebaulicher Sicht daher auch in das Wohnumfeld der Menschen. Das durch das Grundgesetz gesicherte Recht des Menschen auf gesunde Lebensverhältnisse, auf selbst gewählte Vereinigungen und gleiche Lebensverhältnisse begründet die Pflicht des Staates, zukunftsfähige Sportstätten zu finanzieren. Und zwar so, dass diese auch nachhaltig ökonomisch über eine längere Zeit erhalten werden können.

Der Neubau auf kommunaler Ebene wird stagnieren.

Sportplatzwelt: Um Planungsprozesse zu beschleunigen, setzen viele Kommunen auf „Baukastenlösungen“ und bewährte Konzepte. Inwieweit sind hier Kommunen, die innovative Wege gehen wollen, eventuell die Hände gebunden?
Kähler: Es ist zum Verzweifeln, wie kompliziert und langwierig die kommunale Planung und der Bau einer Sporthalle ist. Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung hierfür sehr bald die Gesetzesgrundlage für ein beschleunigtes Bauen, auch für den Sport, schafft. Das allein hilft aber noch nicht, zu zukunftsfähigen Sportstätten zu gelangen. In Deutschland wird immer noch zu teuer, zu perfekt, zu konservativ und für die Ewigkeit – und ich ergänze: auch sportfachlich nicht bedarfsgerecht – gebaut. Das sklavische Festhalten an Normen verhindert ein innovatives Bauen. Das verhindert ökonomisch machbare, angepasste ggf. auch nur temporäre Lösungen, die sich am Wandel des Sports, der Gesellschaft und der Bedürfnisse der Menschen orientieren.

Sportplatzwelt: Eine nachhaltige Sporthalle sollte immer möglichst vielen Bevölkerungsgruppen zugänglich sein. Sollten Erreichbarkeit und Multifunktionalität deshalb immer an erster Stelle stehen?
Kähler: Was an erster Stelle stehen soll, sind die Bedürfnisse der Menschen. Richtig ist dabei, bei der Knappheit der Ressourcen an Flächen grundsätzlich auf Multicodierung der Sport- und Bewegungsräume zu achten.

Darunter ist zu verstehen, dass die Sportstätte sportlich und sozial vielfältig genutzt werden sollte. Eine klug geplante Pumptrack-Anlage wird sowohl von Kleinkindern mit Rollern, Kleinrädern, Rollschuhen als auch von Inlinern, Jugendlichen mit BMX-Rädern und Einrädern, als Treffpunkt, von Familien für Kindergeburtstagsfeiern, für Veranstaltungen wie z. B. Contests und zum Zuschauen aufgesucht werden.

Sportplatzwelt: Welche Auswirkungen werden die demografischen Entwicklungen auf die Sportstättenentwicklungsplanung der Zukunft nehmen?
Kähler: In dem Maße wie die Gesellschaft in Deutschland vielseitiger, bunter, internationaler, älter, diverser wird, wird auch der Sport sich enorm weiter ausdifferenzieren. Ich erwarte daher, dass einige traditionelle Sportarten langfristig verschwinden, neue aufkommen, sich neue Strukturen entwickeln und der informelle Sport weiter an Bedeutung zunehmen wird.

Sportplatzwelt: Warum sollte der Fokus bei Sanierungsmaßnahmen vor allem auf einer intelligenten Nutzung des Bestands liegen? Welche Potenziale sehen Sie hier?
Kähler: Die Antwort auf diese Frage ist – derzeit – recht einfach zu geben. Ich erwarte in den nächsten drei bis vier Jahren aufgrund der Finanzknappheit keine oder kaum Fördermittel vom Bund, den Ländern und Kommunen. Daher wird der Neubau auf kommunaler Ebene stagnieren.

Wenn etwas geschieht, dann höchstens eine Sanierung im Bestand. Aber da erleben wir, dass die Kommunen derzeit vor der Entscheidung stehen: „Saniere ich die Turnhalle X oder gebe ich für die Vereinsanlage Y Zuschüsse?“ Meine derzeitige Empfehlung an die Kommunen und Sporteinrichtungen ist, alle vorhandenen Sportstätten zu 100 % zu nutzen, neue Ideen für bisher nicht sportlich genutzte, aber brauchbare Flächen und Räume zu entwickeln, Kooperationen mit anderen Trägern von Sport- und Bewegungsräumen einzugehen, offensive Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und bei den kommenden Wahlen diejenige demokratische Partei zu wählen, die sich ausdrücklich für eine wirkungsvolle Sportförderung einsetzen will. (Sportplatzwelt, 01.07.2024)

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